Konrad Koch

„Die Frage, ob Fußball in Deutschland eingeführt werden soll oder nicht, bedarf keiner Erörterung mehr, sie ist durch die Macht der Tatsachen entschieden.“ (Prof.Dr. Konrad Koch im Jahr 1894) 

Am 13. 02. 1846 kam Wilhelm Carl Johann Conrad Koch als erstes Kind des Oberlehrers Johann Conrad Koch und seiner Ehefrau Louise Wilhelmine in Braunschweig zur Welt.

Er war Schüler des vereinigten Pro- und Obergymnasiums, das von 1866 an den Namen Martino-Katharineum führte. Nach dem Abitur 1864 studierte er dem Vorbild des Vaters folgend Theologie und Philologie, zunächst in Göttingen, später in Berlin und Leipzig. 

1868 kehrte Koch, inzwischen promoviert, als Hilfslehrer an seine alte Schule zurück. Ihm war gestattet worden, seinen an einem Augenleiden erkrankten Vater teilweise zu vertreten, bevor er selber schließlich Oberlehrer wurde. Er unterrichtete Latein, Griechisch, Deutsch und Geschichte. 

Schulspiele

Der Sportunterricht zu jener Zeit bestand im Wesentlichen aus Turnübungen, die auf Pädagogen wie Johann Christoph GutsMuth und den „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn zurückgingen. Bereits früh erkannte Konrad Koch auf Anregungen seines Kollegen Hermann Corvinus die pädagogische Bedeutung sportlicher Aktivitäten im Freien. So wurde er, unterstützt von seinem Kollegen August Herrmann (1835-1906), der seit 1869 als Turnlehrer am Martino- Katharineum tätig war, zum Wegbereiter der so genannten „Schulspiele“. Zusammen mit Herrmann führte er Sportarten am MK ein, die die Leistungsfähigkeit, aber auch den Gemeinsinn der Schüler stärken sollten (etwa Cricket als Sommerspiel und „Raffball“, einen Vorläufer des modernen Handballs). Keines der Spiele aber fand so großen Anklang wie der Fußball. Im Rahmen der Schulspiele setzte Koch auf den Fußball als Spiel für den Winter. 

Das erste Fußballspiel

Nachdem Herrmann einen Originalball aus England beschafft hatte, kam es im Oktober 1874 zum ersten Fußballspiel: Schüler des Martino-Katharineums trugen es unter der Leitung von Koch und Hermann auf dem „Kleinen Exerzierplatz“ (hinter dem heutigen „Haus der Wissenschaft“ am Rebenring) aus. 1875 legte Koch die ersten deutschen, noch am Rugby orientierten Fußballregeln vor und gründete den ersten deutschen Schüler- Fußballverein am MK. 

Fußball oder Rugby? Die ersten Regeln

Das Regelwerk erlaubte damals noch den Gebrauch der Hände, sah aber bereits eine Abseitsregelung vor. Schlagen, Treten oder Beinstellen waren verboten. Einen Schiedsrichter im heutigen Sinne gab es nicht. Seine Aufgaben übernahmen so genannte „Spielkaiser“ (Mannschaftsführer). Überraschend aus heutiger Sicht ist die Tatsache, dass auch „Gesundheits-Vorschriften“ zu den Spielregeln gehörten. Liest man die Bestimmungen, so ahnt man, mit welcher Vorsicht und Behutsamkeit der neue Sport damals eingeführt wurde:

Schwächliche und kränkliche Schüler werden nur mit ärztlicher Erlaubnis zugelassen.

Es wird nie ohne Aufsicht eines Lehrers gespielt.

Bei unsicherem Wetter wird nur von Freiwilligen gespielt.

Es wird bei der Einrichtung des Spielplatzes dafür Sorge getragen, dass kein Schüler gegen den Ostwind anzulaufen hat.

Auf dem Platze darf niemand sich hinlegen oder müßig stehen.

Kein Schüler darf ohne Erlaubnis den Rock ablegen; diese Erlaubnis wird nur denen erteilt, die ein wollenes Hemd tragen.  

(Zitiert nach K. Hoffmeister: Ein Braunschweiger Lehrer als Begründer der Schulspiele in Deutschland. Braunschweig 1986)

„Fußball ohne Ballaufnehmen“, also das Spiel nur mit dem Fuß, wurde zunächst als Schlechtwettervariante eingeführt, 1882 dann von Koch mit verbindlichen Regeln als Spielform festgeschrieben. Die überarbeiteten Regeln erschienen 1885 in der zweiten Auflage seines Regelwerks. 

Die Verbreitung des Spiels trotz Widerstände

Auf der Basis von inzwischen im Lehrplan des Martino- Katharineums verbindlich festgeschriebenen Schulspielen verbreitete sich der Fußballsport in rasantem Tempo. Erste Vergleichswettkämpfe der MK-Schüler fanden 1888 gegen Mannschaften aus Göttingen und Hannover statt. 1894 gab es sogar internationale Vergleiche gegen Mannschaften aus Großbritannien und den Niederlanden. 

Insgesamt konnte Koch im Jahr 1894 feststellen: „Die Frage, ob Fußball in Deutschland eingeführt werden soll oder nicht, bedarf keiner Erörterung mehr, sie ist durch die Macht der Tatsachen entschieden.“

Trotz aller Erfolge vor Ort mussten sich Koch und seine Mitstreiter gegen zum Teil erhebliche Widerstände wehren. Das neue Spiel galt als zu grob, wurde als „Fusslümmelei“ bezeichnet und war vielen im Deutschland nach der Reichsgründung 1871 allein schon deshalb suspekt, weil es aus England stammte. Koch und Herrmann wurden insbesondere von Teilen der Turner als „Spielapostel“ und „Spiel-Schwärmer“ verspottet. 

Veröffentlichungen

Im Zentralausschuss zur Förderung der Volks- und Jugendspiele und mit einer Vielzahl von Schriften stellte Koch der Kritik unermüdlich die Vorzüge des Fußballspiels sowie der Schulspiele allgemein gegenüber und wurde damit auch zu einem grundlegenden Theoretiker des Schulsports in Deutschland. Seine „Geschichte des Fußballs im Mittelalter und in der Neuzeit“ erschien 1894. Als sein Hauptwerk gilt „Die Erziehung zum Mute durch Turnen, Spiel und Sport. Die geistige Seite der Leibesübungen“ (1900).

Insgesamt umfasst die Liste seiner Veröffentlichungen rund 100 Titel. Darunter befinden sich auch akademische Schriften zu schulischen Inhalten („Platos Gorgias als Schullektüre“, „Über Zweck und Ziel des deutschen Aufsatzes“). Auch zum Werk seines Freundes Wilhelm Raabe liegen Beiträge vor. 

Professor Dr. Konrad Koch starb am 13. 04.1911 noch vor seiner Pensionierung in Braunschweig. 

Eine Gedenktafel im Eingangsbereich der Aula erinnert an den MK-Lehrer, der an unserer Schule den Fußball mit einem eigenen Regelbuch und der Gründung eines Schülervereins als Erster in organisierter Form einführte. Für die Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen gibt es im Sommer eines jeden Jahres das Konrad Koch- Streetsoccer-Turnier auf dem Schulhof an der Breiten Straße, in dem unsere Jüngsten auf spielerische Weise ein Gefühl für die Tradition des MK entwickeln.

Carl Friedrich Gauß

von Gerd Biegel

Am 30. April 1777 wurde Karl Friedrich Gauß in Braunschweig geboren. 1788 kam er nach dem Besuch der Elementarschule in das Katharineum, wobei dies wohl in erster Linie wohlwollenden Förderern zu verdanken war, denn die in bescheidenen Handwerksverhältnissen lebenden Eltern sahen zunächst keine Möglichkeit für die weitergehende Bildung des Sohnes.

Als Primaner wurde Karl Friedrich Gauß dem regierenden Herzog in Braunschweig, Karl Wilhelm Ferdinand (1780-1806), vorgestellt, der in der Folgezeit die Ausbildung des Schülers förderte, dessen außergewöhnliche Begabung schon deutlich erkennbar wurde. So ermöglichte es die finanzielle Unterstützung durch den Herzog, daß Gauß ab 1792 das Collegium Carolinum in Braunschweig besuchte und sein Studium 1795 in Göttingen begann.

Noch als Abiturient hatte Karl Friedrich Gauß die »Methode der kleinsten Quadrate« entwickelt, die schon früh sein Ansehen in der Wissenschaft begründen sollte. Auch seine ersten Beschäftigungen mit dem Gesetz der Primzahlen gehen noch auf die Schulzeit zurück. Ebenso mehrere Arbeiten, die für die weitere Entwicklung der Mathematik und der Geometrie von grundlegender, wenn nicht sogar entscheidender Bedeutung werden sollten. So gilt Gauß etwa als Begründer der Lehre von der Kreisteilung, deren Erarbeitung den entscheidenden Ausschlag dafür gab, daß er sich für einen Berufsweg im Fach Mathematik entschied. 1798 kehrte Gauß nach Braunschweig zurück, um seine Forschungsarbeiten zu veröffentlichen, 1799 zog er für kurze Zeit nach Helm-stedt, um die dortige Universitätsbibliothek zu nutzen.

In Helmstedt lebte er im Hause des Mathematikprofessors Johann Friedrich Pfaff, bevor er noch im gleichen Jahr nach Braunschweig zurückkehrte. Hier verfaßte er, als Ergebnis der Helmstedter Studien, eine Arbeit, mit der er an der philosophischen Fakultät der Universität Helmstedt in Abwesenheit unter Erlaß der mündlichen Prüfung promoviert wurde. Weitere Abhandlungen folgten, und am 31. Januar 1801 wurde Karl Friedrich Gauß aufgrund dieser Forschungsergebnisse zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Petersburg gewählt. Sein Förderer, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand, belohnte diese Anerkennung seines Schütz-linges durch die Gewährung eines Jahresgehaltes von 400 Talern, das Gauß auch weiterhin die Möglichkeit eröffnete, als Gelehrter ohne Lehrerverpflichtung tätig zu sein. Denn nur in einer solchen unabhängigen Position sah er die Voraussetzung, seine beruflichen Vorstellungen zu realisieren.

Der eigentliche Durchbruch war für Gauß jedoch die Berechnung der Bahn des 1801 von dem sizilianischen Astronomen Giuseppe Piazzi entdeckten Planeten Ceres. Diese exakte Berechnung brachte Karl Friedrich Gauß, sehr zum Unwillen des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand, eine Berufung als Direktor der Sternwarte in Petersburg ein. Diesen Ruf nahm er jedoch nicht an, vielmehr wurde er – nach zahlreichen Verhandlungen -1807 zum Direktor der Sternwarte in Göttingen und ordentlichen Professor der Astronomie berufen.

Am 9. Oktober 1805 hatte Gauß die Braunschweigerin Johanne Osthoff geheiratet. 1810 heiratete er in zweiter Ehe Minna Waldeck, eine Freundin seiner verstorbenen Ehefrau, und diese persönliche Entwicklung hatte wohl auch beruflich eine wichtige Folge.

Zu diesem Zeitpunkt nämlich erfolgte durch Wilhelm von Humboldt das Angebot zum Wechsel nach Berlin als ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Möglicherweise waren die familiären Umstände ein wesentlicher Grund dafür, daß Gauß auch diese Berufung nach Berlin ablehnte. Es war dies zwar nicht der letzte Versuch, ihn für Berlin zu gewinnen, aber auch zukünftig gelang es nicht.

Wichtige Arbeiten realisierte Karl Friedrich Gauß im Zusammenhang mit der hannoverschen Landesvermessung (1821-1825) zwischen 1818 und 1848, veröffentlichte grundlegende Forschungen zur Mathematik in den Jahren 1821,1826 und 1832, zu Mechanik 1829,1830 und 1839 und vor allen Dingen im Zusammenwirken mit Wilhelm Weber zwischen 1836 und 1841 zum Erdmagnetismus. Beide hatten 1833 den ersten elektromagnetischen Telegraphen angelegt, der für die Zukunft der Nachrichtenübertrag von so entscheidender Bedeutung werden sollte. Eine schwere Erkrankung belastete Karl Friedrich Gauß gegen Ende seines für die Wissenschaft so reichen und erfüllten Lebens und er starb am 23. Februar 1855 1). Sein Denkmal und die Ehrenbürgerwürde in Braunschweig sind nur ein Zeichen vielfältiger Ehren, die das Wirken und die Leistung von Karl Friedrich Gauß weltweit noch heute zu würdigen versuchen.

Anmerkung:
1) Cantor, Karl Friedrich Gauß, in: Allgemeine Deutsche Biographie, 8. Band. Leipzig 1878, S. 430-445; Ausstellungskatalog Carl Friedrich Gauss 1777-1855. Göttingen 1977; Festschrift zum 200. Geburtstag von Carl Friedrich Gauss. Göttingen 1977 (Gauss-Gesellschaft Göttingen, Mitteilungen Nr. 14).

Hoffmann von Fallersleben

von Angela Klein

Der Germanist und Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) besuchte das Ka-tharineum von April 1814 bis Ostern 1816, nachdem er zuvor zwei Jahre Schüler des Gymnasiums in Helmstedt gewesen war. In seiner Biographie »Mein Leben« bewertete Hoffmann seinen Schulbesuch in Braunschweig als die Zeit, in der ihm wichtige philologische Kenntnisse vermittelt wurden. Trotz der Widerstände seines Vaters setzte er in Braunschweig seine dichterische Produktion fort und veröffentlichte 1815 im »Kalender auf das Schaltjahr nach Christi Geburt 1815« einige Lieder, die sich eng an die Freiheitslieder gegen die Herrschaft Napoleons anlehnten.

Bereits in seinen in Braunschweig geschriebenen Gedichten griff Hoffmann politische Themen auf: So kritisierte er in einem Sonett, dessen erste Zeile lautete: »Der alte Adel schlingt neue Bande und unterjocht die Freiheit weit und breit«, die restaurativenTendenzen in Hannover.1)

Nachdem sich Hoffmann anfänglich auf Wunsch seiner Familie in Göttingen dem Studium der Theologie gewidmet hatte, wandte er sich nach 1816 der Philologie zu. 1818 lernte er in Kassel Jakob Grimm kennen, der sein Interesse auf die deutsche Literatur lenkte. Von diesem Zeitpunkt an stand die Literatur des Mittelalters im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Hier leistete Hoffmann grundlegende Beiträge zu der damals noch in den Anfängen stehenden Germanistik. Auf Forschungsreisen, die dem Auffinden althochdeutscher Literatur dienten, konnte er viele bis dahin unbekannte Texte der Öffentlichkeit zugänglich machen: so die Bonner Otfried-Bruchstücke (1821), Williams Paraphrase des Hohen Liedes (1827) oder das 1834 in Valenciennes wiedergefundene Ludwigslied, das älteste historische Lied in deutscher Sprache, das den Sieg des westfränkischen Königs Ludwigs III. über die Normannen am 3. August 881 bei Saucourt verherrlichte. Hoffmann entfaltete eine reiche publizistische Tätigkeit und arbeitete mit so bedeutenden Germanisten wie Moritz Haupt, mit dem er die »Altdeutschen Blätter« herausgab, oder mit Wilhelm Wackernagel zusammen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten – er erhielt 1823 für seine Veröffentlichungen über alt- und mittelniederländische Literatur die Doktorwürde der Universität Leiden – brachten ihm 1823 eine Anstellung als Kustos an der Zentralbibliothek in Breslau ein. Nachdem er 1830 gegen den Willen der Fakultät zum außerordentlichen Professor an der Universität Breslau ernannt worden war, erhielt er hier 1835 eine Stelle als ordentlicher Professor.

Hoffmanns lyrisches Schaffen umfaßt Volkslieder und politische Lieder. Nach seinen ersten lyrischen Versuchen veröffentlichte er neben Burschenschaftsliedern 1827 seine »Gedichte« und 1836 das »Buch der Liebe«. Als Lyriker stand Hoffmann in der Tradition der romantischen Lieddichtung, wobei er deren Streben nach Einfachheit und Volkstümlichkeit mit den begrenzten eigenen Ausdrucksmöglichkeiten gleichsetzte.2) Die Romantiker sammelten mittelalterliche Poesie oder das, was sie dafür hielten, um die Quellen ihrer literarischen Eigenproduktion zu entdecken und durch die Erneuerung der Kunstpoesie der Klassik endgültig den Rücken zu kehren. So sammelte Jakob Grimm Volksdichtung und Achim von Arnim gab mit Clemens Brentano »Des Knaben Wunderhorn« heraus, wobei sich eine Hinwendung zumVolkstum abzeichnete.

Hoffmann wandte sich den niederländischen Volksliedern zu und begann sogar mit eigenen Versuchen: »Ich lebte mich so recht ein in die Sprache und in den Geist des alten Volksliedes, daß die Lust wie von selbst kam, ähnliche Lieder zu dichten« (zit. nach Jost, Seite 77). Sein Interesse an Volksliedern führte ihn auch zu Kinder-hedern, die für viele Jahrzehnte in die Schulbücher eingegangen sind: z.B. »Summ, summ, summ, Bienchen summ herum«, »Ein Männlein steht im Walde« und »Alle Vögel sind schon da«.

Am erfolgreichsten war Hoffmann in seiner politischen Lyrik, die den Liedern Dingelstedts, Freiligraths und Herweghs vorangingen. 1840/41 veröffentlichte er eine Sammlung seiner Lieder unter dem ironischen Titel »Unpolitische Lieder«. Diese themasierten bestimmte, überall bekannte Mißstände wie Standesdünkel, Zensur (»Staatsinkuisition«) und Polizeimethoden (»Der Korporalsstock«). Den Gedichten vorangestellt waren jeweils Zitate aus dem NeuenTestament, die denTenor der Gedichte verdeutlichten.3) So trug der zweite Band der »Unpolitischen Gedichte« als Motto ein Zitat aus der Apostelgeschichte (4,20): »Wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben«. In Hoffmanns politischer Lyrik überwiegt das Interesse des liberalen Bürgertums an Reformen. Seine Kritik war eher gemütlich-humorvoll als agitierend. Dennoch war die Wirkung seiner »Unpolitischen Lieder« groß. Der preußischen Regierung schien Hoffmanns Popularität so gefährlich, daß sie ihn 1842 von seinem Amt als Professor in Breslau suspendierte. In der Begründung des Ministeriums hieß es dazu: » … es werden Gesinnungen und Ansichten ausgedrückt, die bei den Lesern der Lieder besonders von jugendlichem Alter, Mißvergnügen über die bestehende Ordnung der Dinge, Verachtung und Haß gegen Landesherren und Obrigkeit hervorzurufen und einen Geist zu erwecken geeignet sind, der zunächst für die Jugend, aber auch im allgemeinen nur verderblich wirken kann«.

Im Gegensatz zu Herwegh vertritt Hoffmann einen noch immer in der Tradition der »Befreiungskriege« begründeten Nationalismus für den sein »Lied der Deutschen« (1841) ein Beispiel ist. Dieses Lied ist sogleich auch ein Beispiel für den differenzierten, ganz und gar nicht chauvinistischen Charakter dieses Nationalismus, der ihn von Ernst Moritz Arndt weit unterscheidet. Zur Zeit Hoffmanns beschrieben die vierte und fünfte Zeile des Gedichtes die Grenzen des Deutschen Bundes: Die Maas floß im niederländischen Teil Limburgs, der seit 1839 dazugehörte, die Etsch gehörte zum Österreichischen Südtirol, die Memel war der Grenzfluß zwischen Ostpreußen und Litauen, der Belt die nördliche Seegrenze Schleswig-Holsteins. Das Lied war bereits in der Zeit seiner Entstehung nicht unumstritten, jedoch blieben seine Kritiker in der Minderheit. Zu ihnen gehörten Heinrich Heine und vor allem Karl Marx und Friedrich Engels, die ihre Gedanken von Sozialismus und Internationalismus entwickelten. Das Lied ging in vielfacher Vertonung in zahlreiche Kommers- und Liederbücher ein. Erst die Uminterpretation des Gedichtes in der Folgezeit weist auf die fatale Rezeptionsgeschichte hin: nachdem es nach 1848 in den Hintergrund getreten war, erregte es im Ersten Weltkrieg erneut Aufmerksamkeit, als nationalgesinnte Studenten in Freiwilligenkorps das Deutschlandlied singend 1914 in den Krieg zogen. 1918 sangen es die besiegten deutschen Truppen ebenso wie 1920 die Brigade Ehrhardt beim Kapp-Putsch. In der Weimarer Republik erhob Friedrich Ebert das Lied 1922 zur Nationalhymne. Am 2. Mai 1952 wurde es nach heftigen Diskussionen vom Bundespräsidenten Theodor Heuss zur Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland erklärt.4)

Nach seiner Absetzung als Professor begannen für Hoffmann unruhige Wanderjahre, die von finanziellen Sorgen geprägt waren. Zunächst verbrachte er einige Zeit auf Gut Buchholz in Mecklenburg, 1854 erhielt er durch Protektion eine Stelle in Weimar, wo er 1854-1857 die »Weimarische Zeitschrift für deutsche Sprache und Literatur« betreute. Dort wurde er in den Freundeskreis um Franz Liszt aufgenommen und konnte geistige und gesellschaftliche Kontakte pflegen, die er in den Jahren zuvor vermissen mußte. 1860 siedelte er nach Schloß Corvey über, das dem Prinzen Victor von Hohenlohe-Schillingsfürst, Herzog von Ratibor gehörte. Hier verbrachte Hoffmann die letzten Jahre seines Lebens mit philologischen Studien. Als es jedoch in Preußen 1862 zum Konflikt um die Heeresreform zwischen dem Souverän und der liberalen Kammer des Abgeordnetenhauses kam, bezog Hoffmann nochmals öffentlich Stellung, indem er seine 1840/41 veröffentlichten Gedichte unter dem Titel: »Frühlingslieder für Urwähler, Wahlmänner und Fortschrittsmänner« anonym neuerscheinen ließ. Trotz seiner Vorbehalte gegen Preußen stellte Hoffmann sich 1866 in der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland auf die Seite Preußens. Oberstes Ziel blieb die staatliche Einigung Deutschlands, die 1871, wenngleich unter anderen Vorzeichen, erreicht wurde. Hoffmann widmete dem preußischen König und deutschen Kaiser Wilhelm ein Lobgedicht, in dem er ihn alsiitanen feierte, der die Einheit verwirklichte.

Seine letzten Jahre verbrachte Hoffmann von Fallersleben in Corvey damit, seine schriftstellerischen Arbeiten zu ordnen und eine Gesamtausgabe seiner Kinderlieder vorzubereiten. Am 19. Januar 1874 ist Hoff mann von Fallersleben in Corvey gestorben.

Anmerkungen
1) August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 1. Hannover 1868, S. 68
2) Adalbert Elschenbroich, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, in: Neue deutsche Biographie, Bd. 9. Berlin 1972, S. 421 ff
3) Helmut Wiesemeyer, Unpolitische Lieder, in: Hoffmann von Fallersleben. Wollen -Wirken -Werke. Eine Gedenkschrift zum 100.Todestag des Dichters, Gelehrten und Sprachforschers am 19. Januar 1974. Hg. von der Hoffmann von Fallersleben-Gesellschaft e.V. Wolfsburg-Fallersleben, o.J. (1974), S. 26-35; S.27
4) Ingrid Heinrich-Jost, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Berlin 1982 (Preußische Köpfe); 87 f

Louis Spohr

von Dirk Loeben

Ludwig Spohr wurde am 5. April 1784 in Braunschweig geboren. Seine Eltern, der spätere Medizinalrat Karl Heinrich Spohr und dessen Kusine, die Braunschweiger Pastorentochter Juliane Ernestine Luise Henke, nannten ihn gemäß den damaligen französischen Gepflogenheiten Louis. Er war ihr erstes Kind, bekam später aber noch fünf Geschwister.

Drei Jahre nach seiner Geburt zog der Väter nach See-sen, wo er Physikus wurde. Dort war Louis Spohr Sopranist und erhielt 1789 seine erste Geige.

Bald erkannte sein Musiklehrer Dufour Spohrs Begabung, der bereits Duette für 2 Geigen und eine unvollendete Oper geschrieben hatte. 1798 besuchte Spohr das Collegium Carolinum in Braunschweig und erhielt Geigenunterricht vom Kammermusikus Kunisch und dem Herzoglichen Konzertmeister Marcourt sowie Lektionen in Harmonielehre und Kontrapunkt bei Kantor Karl August Härtung.

Spohrs erste Kunstreise nach Hamburg war ein Fehlschlag, doch gewann er, wieder zurück, das Wohlwollen des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, der ihn am 2. August 1799 zum Herzoglich Braunschweigischen Kammermusikus mit 100 Talern Gehalt im Jahr ernannte.

Der Herzog ermöglichte ihm auch, sich einen Violinlehrer zu wählen, der in Franz Eck im April 1802 gefunden war. Doch dieser befand sich gerade auf einer Konzertreise mit dem Ziel St. Petersburg, so daß der Unterricht während der Tournee aufgenommen wurde, die am 22. Dezember in Petersburg endete. Spohr komponierte sein Violinkonzert op. 1 und drei Duos für zwei Violinen op. 3 und kehrte am 5. Juni 1803 in Begleitung anderer Musiker nach Braunschweig zurück.

Hier konzertierte gerade ein großer Geiger namens Rode, der Louis Spohr zu seinem ersten großen erfolgreichen Konzert veranlaßte, wodurch der Herzog sein Gehalt auf 300 Taler erhöhte.

Im Jahr 1804 machte Spohr, nachdem er zuvor das Violinkonzert Nr. 2 und das Potpourri op. 5 geschrieben hatte, eine erfolgreiche Konzertreise über Halberstadt, Magdeburg, Leipzig, Dresden und Berlin.

Im nächsten Jahr erreichte ihn eine Offerte als herzoglicher Konzertmeister mit 500 Talern aus Gotha, die er zum 5. August annahm. Bei einem Gastspiel der Hofkapelle in Altenburg verlobte sich Spohr mit der Harfen-und Klavierspielerin Dorothee Henriette Scheidler aus Gotha, die er am 2. Februar 1806 in der Schloßkapelle zu Gotha heiratete. In diesem Jahr komponierte er, neben seinem Violinkonzert op. 7, seine erste Oper mit dem Titel »Die Prüfung«.

Am 27. Mai 1807 wurde die erste Tochter Emilie geboren. Nachdem seine Gattin sich erholt hatte, unternahm Spohr mit ihr im Oktober eine Konzertreise über Weimar, Leipzig, Dresden, Prag, Regensburg, München, Stuttgart, Heidelberg und Frankfurt am Main. Wieder in Gotha widmete sich Louis Spohr der Ausbildung der zu ihm kommenden Schüler, mit denen er 1808 auch eine Reise in den Harz unternahm. Insgesamt unterrichtete er im Laufe seines Lebens ungefähr 200 Schüler. Ferner schrieb er für seinen Freund, den Konzertmeister Herm-stedt in Sondershausen einige Klarinettenkonzerte.

Ebenfalls 1808 kam die zweiteTochter Johanna Sophia Louise am 6. November zur Welt, auch entstand eine weitere Oper »Alruna, die Eulenkönigin«, ferner entwik-kelte er sein Talent zum Zeichnen und Miniaturmalen weiter, wie seine Selbstbildnisse belegen.

1809 folgte eine Konzertreise nach Rußland zusammen mit Dorette Spohr. Man gab Konzerte in Weimar, Leipzig, Dresden, Bautzen und Breslau, wurde dann aber von der Herzogin zurückgerufen.

Anno 1810 veranstaltete der Kantor Bischoff von Frankenhausen im Sommer das erste deutsche Musikfest, das von Louis Spohr, wie auch das zweite im Jahre 1811, dirigiert wurde. Bischoff war es auch, der den Anstoß zum Oratorium »Das jüngste Gericht« gab, das am 15. 8.1812 in Erfurt uraufgeführt wurde, doch zuvor entstand noch Spohrs erste Symphonie op. 20.

Im Herbst 1812 trat er wiederum eine Konzertreise von Gotha aus an, die das Ehepaar nach Leipzig, Prag und Wien führte. Als man die Reise nach Italien fortsetzen wollte, unterbreitete der Besitzer desTheaters an der Wien, Graf Palffy, Spohr ein Angebot als Konzertmeister, das dieser annahm. Im Jahr 1813 schrieb Spohr die Oper »Faust«, das Nonett op. 31, das Oktett op. 32 sowie im Jahre 1814 die Kantate »Das befreite Deutschland«.

In Wien hatte Spohr auch freundschaftliche Kontakte zu Carl-Maria von Weber und Ludwig van Beethoven.

1815 hat Spohr den Vertrag in Wien gelöst und konzertierte in Brunn und Breslau, um den Sommer mit seiner Frau beim Fürsten Carolath auf Schloß Carolath in Schlesien zu verleben. Dort entstanden das Offertorium und Notturno op. 34. Bis 1816 unternahm er eine Konzertreise durch Deutschland. Spohr besuchte das Musikfest in Freiburg, reiste dann weiter in die Schweiz und nach Italien, wo er in Venedig den »Teufelsgeiger« Paganini kennenlernte. Im Mai 1817 kehrte Spohr von Neapel zurück nach Deutschland und fuhr rheinabwärts in die Niederlande, wo er in Rotterdam, Den Haag und Amsterdam Konzerte gab.

Im Jahre 1818 nahm er die Tätigkeit als Opern- und Musikdirektor in Frankfurt am Main auf.

Dort entstand auch seine Oper »Zemire und Azor« und die Quartette op. 45 und 61, ferner erfolgte am 29. Juli die Geburt seiner Tochter Therese.

Nach Streitereien kündigte Spohr und erhielt sofort das Angebot, in London Konzertmeister zu werden. In London brach er erstmalig mit der Sitte, vom Klavier aus zu dirigieren, führte den Taktstock ein und hielt sich bei Privatkonzerten vor und nach seiner Darbietung im Salon auf. Er ging also nicht, wie damals üblich, nach seinem Spiel lautlos aus dem Musikzimmer.

Als der Vertrag 1820 erfüllt war und er die zweite Symphonie op. 49 komponiert hatte, kehrte er wieder nach Deutschland zurück, um dem Musikfest unter Leitung des Kantors Bischoff beizuwohnen. Es folgte eine Konzertreise nach Paris, an die sich 1821 ein Aufenthalt in Gandersheim und Dresden anschloß, wo die Messe op. 54 entstand.

Als Carl-Maria von Weber, der auch in Dresden lebte, Hofkapellmeister in Kassel werden sollte, lehnte er dankend ab und schlug Spohr vor, der diese Stellung 1822 antrat, dem Jahr, in dem er die Oper »Jessonda« schrieb. Von jetzt an machte Spohr meist nur noch Urlaubsreisen nach Karlsbad oder Besuche auf Musikfesten, wie in Düsseldorf 1826, Halberstadt 1828 und 1833 oder Nordhausen 1829. Es folgte eine lange Schaffensperiode mit Werken, wie »Der Berggeist«, »Macbeth«, »Die letzten Dinge« sowie die dritte und vierte Symphonie. Sein her-ausragendstes Werk war aber die »Violinschule« im Jahre 1831.

Drei Jahre später, am 20. November 1834, starb Do-rette Spohr. Die Einsamkeit veranlaßte Spohr, am 3. Januar 1836 Marianne Pfeiffer zu heiraten. Nachdem seine zweite Frau in Gotha und Dresden eingeführt worden war, komponierte er die Sonate für Klavier und Violine op. 96 und besuchte das zu seinen Ehren stattfindende Musikfest in Braunschweig.

1838 erlag SpohrsTochterTherese am 3. Juni dem Nervenfieber. Diesen Vorfall suchte er in Karlsbad zu vergessen, wobei er während der Rückreise Robert Schumann kennenlernte. 1839 vollendete Spohr seine »Historische Symphonie« op. 116 und reiste zum Musikfest nach Nor-wich, wo er das Oratorium »Des Heilands letzte Stunden« dirigierte.

In den beiden nächsten Jahren besuchte Spohr das Musikfest in Aachen und Luzern, unternahm eine Reise durch Norddeutschland, wobei er in Gandersheim seine Mutter im Sterben fand und begann von 1841 bis 1849 fünf Klaviertrios für den Verleger Schubert zu komponieren.

1843 lehnte Louis Spohr das ihm angebotene Direktorat des Konservatoriums zu Prag mit dem Ausdruck des Bedauerns ab und ging nach London, um einige seiner Stücke zu dirigieren.

Im folgenden Jahr komponierte er seine letzte Oper »Die Kreuzfahrer«, unternahm erneut eine Reise nach Paris, leitete ein Musikfest, ihm zu Ehren, in Braunschweig und dirigierte 1845 am 11. August bei den Enthüllungsfeierlichkeiten des Bonner Beethovendenkmales.

Aus Anlaß seines 25jährigen Dienstjubiläums am 20. Januar 1847 in Kassel überreichte man ihm eine silberne Ehrenvase. Neben der Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt und zum Generalmusikdirektor verlieh man Spohr den roten Adlerorden III. Klasse von Preußen sowie den Maximiliansorden von Bayern.

Bewegt von der Revolution 1848 fuhr Spohr in seinen Ferien nach Frankfurt, um an der Nationalversammlung teilzunehmen. Es folgte 1850 eine Fahrt zu einem vierzehntägigen Spohrfest nach Breslau und 1851 in die Schweiz und nach Italien. 1852 und 1853 reiste Spohr zweimal nach England. Beim erstenmal wohnte er auf Wunsch der Queen Viktoria der rezitativ umgearbeiteten Premiere von »Faust« im Royal Italian Opera House Co-vent Garden bei, beim zweiten Mal leitete er die Konzerte der New Philharmonie Society.

Es folgten neben seinen Kompositionen Reisen in die Schweiz, in Deutschland und 1856 zum Sängerfest nach Braunschweig, bevor Spohr am 14. November 1857 ohne Gesuch darum mit 1500 Talern pensioniert wurde.

Auch in der Folgezeit unternahm Spohr noch weitere Reisen. Im April 1859 wurde ihm in Meiningen das Großkreuz des Sächsisch-Ernestinischen Hausordens verliehen. Am 22. Oktober desselben Jahres ist er dann in Kassel gestorben.

Literatur
Hartmut Becker und Rainer Krempien, Louis Spohr (1784-1859). Kassel 1984; Schletterer, Louis Spohr, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 35. Leipzig, 1893, S. 239-259.

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