von Joachim Holzhausen

Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung Braunschweigs innerhalb der Hanse drängte gegen Ende des Spätmittelalters das selbstbewusster werdende Stadtpatriziat immer mehr darauf, in allen städtischen Lebensbereichen eigenverantwortlich entscheiden zu können. Von daher zeigte sich der Rat der Stadt Anfang des 15. Jahrhunderts fest entschlossen, den Einfluss des Klerus auf das Unterrichtswesen zu verringern und eigene lateinische Stadtschulen im Hagen und in der Altstadt zu errichten.

Das Martineum sollte die gelehrte Schule für Altstadt, Altewiek und Sack werden, während das Katharineum für Schüler aus dem Hagen und der Neustadt bestimmt war. Für die engere Standortwahl der Schulhäuser war die Nähe zur Martini- bzw. Katharinenkirche ausschlaggebend, wohin die Schüler mehrere Male täglich zum Gottesdienst zu gehen hatten.

Die Gebäude des Martineums

Das Schulhaus an der Jakobstraße (1415 bis 1595)

Die erste Martinischule bestand aus einem zweistöckigen Vorder- und einem einstöckigen Hinterhaus, beide aus Fachwerk. In ihr war anfänglich für drei Klassen sowie die Wohnung des Schulmeisters ausreichend Platz.

Als aber infolge der im Jahr 1535 durchgeführten Braunschweiger Schulreform die Zahl der Schüler und der Klassen spürbar anwuchs (1562: sechs Klassen; 1588: sieben Klassen), wurde die Raumnot immer bedrückender. Angesichts dieser Entwicklung beschloss der Schulvorstand 1578, eine neue repräsentative Anlage auf einem größeren Grundstück am Ziegenmarkt errichten zu lassen, die aber aufgrund von Finanzierungsproblemen erst 17 Jahre später fertiggestellt werden konnte.
Die beiden Gebäude an der Jakobstraße hießen auch weiterhin die „alte Schule“ und wurden 1884 beim Bau der Brabandtstraße abgerissen. Das Eckhaus Brabandtstraße 4 steht heute auf einem Teil des ehemaligen Schulgeländes.

Das Schulhaus am Ziegenmarkt (1595 bis 1869)

Nach vierjähriger Bauzeit und Gesamtkosten von rund 7260 Taler wurde das neue Schulhaus am Ziegenmarkt (heute Bankplatz 1) am 23. Oktober 1595 feierlich eingeweiht.

Das eigentliche Schulgebäude war das dreigeschossige Hinterhaus aus Fachwerk, das Räume für fünf Klassen besaß. Das etwa gleich große Vordergebäude enthielt ursprünglich nur die Dienstwohnungen des Rektors und seines Stellvertreters. Erst seit 1836 wurde das Erdgeschoss zu Unterrichtszwecken genutzt. Es hatte eine kunstvoll gestaltete Fassade aus Elmkalkstein und eine Rückseite aus Fachwerk. Das Portal, das heute den Eingang zur Aula schmückt, war reich ornamentiert. Direkt über der Tür war das Wappen der Stadt zu sehen, darüber das Relief des heiligen Martin, des Schutzheiligen der Schule, wie er dem Bettler die Hälfte seines Mantels reicht. Ringsherum war allegorisches Bildwerk angeordnet: Die Figuren sollten die sieben freien Künste verkörpern und zwar von links nach rechts: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, die Musik inmitten zweier musizierender Putten als Krönung der Türfassung, Arithmetik, Geometrie und Astronomie. Zwischen den Fenstern der beiden Obergeschosse standen in muschelförmigen Nischen acht Steinplastiken, die wichtige menschliche Tugenden symbolisierten, nämlich Weisheit, Mäßigung, Tapferkeit, Geduld, Glaube, Hoffnung, Nächstenliebe und Gerechtigkeit.

Tiefgreifende schulische Veränderungen brachte die Gründung des Gesamtgymnasiums am 15. Januar 1828 mit sich. Martineum und Katharineum wurden zu einer humanistischen Lehranstalt (gegliedert in ein Pro- sowie Obergymnasium) zusammengefasst, waren aber räumlich weiter getrennt.

Das fünfklassige Obergymnasium blieb am Hagenmarkt. Die sechs Klassen des Progymnasiums wurden zusammen mit dem ebenfalls neugeschaffenen lateinlosen Realgymnasium (heute Neue Oberschule) in der alten Martinischule untergebracht. Hier kam es allerdings schon bald zwischen den Pro- und Realgymnasiasten zu heftigen Streitigkeiten, die nicht selten zu regelrechten »Schülerschlachten« ausarteten und auf der Schuhstraße oder auch auf der Straße Vor der Burg ausgetragen wurden.

Eine Beruhigung bewirkte 1856 die Verlegung des Realgymnasiums in die ehemalige Katharinenschule, während das Ober- zum Progymnasium ins Martineum zog. Nachdem ein Neubau an der Breiten Straße/Scharrnstraße am 12. Oktober 1869 bezogen worden war, wurde das Schulhaus am Ziegenmarkt im Juli 1870 an die Schokoladenfabrik Wittekop verkauft. 1944 ist es schließlich einem Bombenangriff zum Opfer gefallen.

Die Schule im Paulinerkloster (1537 bis 1700)

Bei dem zugewiesenen Gebäudeteil handelte es sich um einen nur recht notdürftig instandgesetzten Bereich des östlichen Klosterflügels. Er befand sich dort, wo heute am Bohlweg die Bauten der NORD/LB und Bezirksregierung ineinander übergehen. Der Eingang zur Schule befand sich auf der Flussseite der Anlage. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts ließen eine fortschreitende Baufälligkeit, das laute Treiben der Provianthausarbeiter und vor allem die ständige Geruchsbelästigung von den Schweineställen der Bürgerhäuser auf der Westseite des Bohlwegs eine geregelte Unterrichtstätigkeit immer schwieriger werden.

Aber erst nachdem 1682 das Katharineum eine herzogliche Anstalt geworden war, konnten die schon lange geäußerten Neubauwünsche unter dem Patronat der weifischen Landesherren Rudolf August und Anton Ulrich endlich realisiert werden.

Die Schule zwischen Hagenmarkt und Hagenscharrn (1700 bis 1856)

Nach einer Bauzeit von fast fünf Jahren und Baukosten von 4542 Taler (veranschlagt waren anfänglich nur rund 2000 Taler) wurde das neue Katharineum am 8. Juli 1700 feierlich eingeweiht. Auf dem Gelände, das sich vom Hagenmarkt bis zu der diese Gegend damals noch offen durchfließenden Oker erstreckte, wurde zuerst das Schulgebäude fertiggestellt. Um 1740 folgte am Hagenmarkt das Rektorenhaus, das allerdings schon wenige Jahre später an das Collegium Carolinum abgegeben werden mußte. Der Schulleiter bekam dafür ein kleineres Haus an der Wendenstraße; die übrigen Lehrer wohnten in zwei Gebäuden an der Stecherstraße.

Sämtliche Schulbauten sind beim Durchbruch der Casparistraße im Jahre 1885 abgerissen worden.

Gebäude des Martino-Katharineums seit 1869

Mit Beginn der Industrialisierung und aufgrund des schnelleren Bevölkerungswachstums wurde auch die Schülerzahl in Braunschweig deutlich größer, so dass die Schule am Ziegenmarkt bald zu eng wurde.

Um die Kosten so gering wie möglich zu halten, beschlossen die Behörden 1866, einen gemeinsamen Neubau für das Martino-Katharineum und das Realgymnasium mit getrennten Schulhöfen, Turnhallen sowie separaten Direktoren- und Hausmeisterhäusern zwischen der Breiten Straße und der Scharrnstraße zu errichten.

Nach den Plänen des Baurats Friedrich Krähe entstand bis 1869 eine Schulanlage im neoromanischen Stil, bei deren Einweihung zur Erinnerung an das alte Martineum zwei mit ursprünglich goldener Inschrift verzierte Steintafeln aus dem Jahre 1595 in die Mauer des MK-Schulhofes eingelassen wurden.

Am 15. Oktober 1944 fielen das Gebäude des Martino-Katharineums und mit ihm die 20000 Bände umfassende wertvolle Schulbibliothek dem verheerenden Luftangriff zum Opfer, durch den auch große Teile der Innenstadt Braunschweigs zerstört wurden.

Hunger und Elend waren in den Jahren danach allgegenwärtig und belasteten in für uns heute kaum vorstellbarer Weise den Unterrichtsalltag.

Hinzu kam noch, dass das Martino-Katharineum in der Folgezeit, wie viele andere Schulen auch, deren Haus in Trümmern lag, häufig den Schulstandort wechseln musste: So erfolgten z. B. von Dezember 1944 bis Ende März 1945 ein behelfsmäßiger Unterricht in der Lessingschule, am 23. Oktober 1945 die Wiederaufnahme des Schulunterrichts in der heutigen Kleinen Burg, Ende Januar 1946 der Umzug (zusammen mit der Raabeschule und der Neuen Oberschule) in die Schule Bürgerstraße und von Mai 1947 bis September 1953 (gemeinsam mit der Neuen Oberschule) die Unterbringung in dem von der Stadt angemieteten Gebäude der ehemaligen Löfflerschen Schule an der Leonhardstraße.

Vor allem der Nachmittagsunterricht sowie die Überbelegung der relativ kleinen und recht kümmerlich eingerichteten Klassenzimmer schufen zunehmend Probleme, so daß spätestens seit Mitte 1950 auf verschiedenen Ebenen versucht wurde, beim Niedersächsischen Kultusministerium die Bewilligung von Haushaltsmitteln für den Aufbau des Martino-Katharineums zu erreichen.

Zwei Jahre später war es dann endlich soweit.

Nachdem im Sommer 1952 die Ruinen auf dem Schulgelände Stein für Stein abgetragen worden waren, fingen am 10. November 1952 die eigentlichen Wiederaufbauarbeiten an. Am 17. Oktober 1953 wurden der Mittelteil und Südflügel der Schule feierlich eingeweiht. Der Unterricht litt aber noch bis 1955, dem Jahr der Fertigstellung des naturwissenschaftlichen Traktes, unter dem Baulärm.

Angesichts ansteigender Schülerzahlen erwies sich bereits gegen Ende der 60er Jahre das Raumangebot erneut als nicht mehr ausreichend. Es mussten aber noch über zehn Jahre lang intensive Verhandlungen mit den zuständigen Behörden geführt werden, bis am 27. Juni 1979 der südliche Anbau begonnen und ungefähr ein Jahr später, nämlich am 28. November 1980, seine Einweihung gefeiert werden konnte.

Trotz dieser baulichen Erweiterung ist die Raumkapazität des Gymnasiums auch heute immer noch nicht gänzlich zufriedenstellend, sodass die Schlagzeile der Braunschweiger Zeitung vom 29. Oktober 1980 nach wie vor Gültigkeit besitzt: »Im Martino-Katharineum wird auch künftig gebaut.«